Die Zukunft? Rosarot?!

Von Andreas Kunkel.

Aktuellen Zahlen zufolge können sich Studienanfänger und Absolventen der Ingenieurwissenschaften ihre Zukunft in bunten Farben ausmalen. Gerade im Bereich der Elektrotechnik sind sie zu einem regelrechten Objekt der Begierde geworden. Grund genug für alle Ings, mit rosaroter Brille durch die Welt zu laufen?

 

 


Warum lacht er eigentlich so wenig?
Vielleicht liegt’s am schwierigen Amt eines Vorstands. Oder an der Verantwortung, die er zusätzlich für den VDE übernommen hat. Dabei hätte der RWE-Vorstandsvorsitzende und Präsident des Verbands Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik eigentlich allen Grund, mehr als nur zu lächeln. Er könnte sich richtig freuen. Seit Monaten spricht Michael Stadler auf Messen, Kongressen und Pressekonferenzen über die »ernst zu nehmend positiven Signale«, die von den Ingenieurwissenschaften ausgehen. Auch auf der Hannover Messe, der größten Industrieschau der Welt, weist er mit Hilfe von Statistiken und Umfragen nach, dass Deutschland »technisch wieder in der Welt-Spitzenliga spielt«. In entscheidenden Zukunftstechnologien wie Elektro-, Energie- und Medizintechnik, der Automation sowie der Mikro- und Nanotechnik nimmt die Bundesrepublik laut Studien des VDE eine »führende Position« ein. Und die Leistungen deutscher Ingenieure sind für die Hälfte aller vom VDE befragten Unternehmen besser als der internationale Standard.

Vielleicht ist die Freude
des VDE-Präsidenten aber auch deshalb etwas verhalten, weil viel Arbeit auf die Unternehmen und ihre Ingenieure zukommen wird, um diesen Stand zu halten oder gar weiter auszubauen. Viel Arbeit, die sich in Zukunft vielleicht sogar auf weniger Fachkräfte verteilen wird, als es der Industrie lieb sein kann. Denn Ingenieure – vor allem Elektroingenieure – sind gefragt wie selten. Fast die Hälfte der deutschen Unternehmen geht davon aus, dass der Anteil an Elektroingenieuren und IT-Experten in den kommenden zwei Jahren zunehmen wird. Jedes Dritte, egal ob vom Mittelstand oder aus der Großindustrie, sieht Schwierigkeiten, seinen Bedarf an Nachwuchskräften zu decken. Vor allem in den Bereichen Forschung und Entwicklung, aber auch Marketing, Vertrieb und Beratung stehen derzeit oder in Zukunft leere Schreib- und Labortische.

So richten sich
nach einer für das VDE-Jobbarometer durchgeführten Zählung bei rund 1.000 Firmen-Homepages rund 15 Prozent aller Stellenangebote an Elektroingenieure. Auch die Bundesagentur für Arbeit bestätigt das Bild: Innerhalb von zwölf Monaten erhöhte sich die Zahl der in Nürnberg eingegangenen Stellenangebote für Elektroingenieure um fast 30 Prozent. Derzeit sind demnach rund 4.400 Stellenangebote registriert. Das sind 19 Prozent mehr Stellen als noch im Februar 2006. In einer aktuellen Studie des Karrieredienstleisters Staufenbiel liest sich das Ranking der gesuchten Hochschulabsolventen wie das Who-is-who der bekanntesten Firmen Deutschlands: So sucht die EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) derzeit 2.000 Absolventen und Young Professionals. Bei Bosch sind es ebenso wie bei Siemens 1.800. DaimlerChrysler 1.000, das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung immerhin 150, die Deutsche Bahn AG 150, der Technik- und Management Projektpartner Brunel GmbH 200, die deutsche Lufthansa 150, der Automobilzulieferer Schaeffler 120 oder Continental Automotive Systems 100 akademische Nachwuchskräfte. Fast alle sollten Ingenieurwissenschaften studiert haben. Neben IT-Fachleuten gehören vor allem Elektroingenieure, aber auch Maschinenbauer zu den Job-Gewinnern. Zur erhöhten Nachfrage kommt nun auch noch, dass die Zahl der Studienbeginner in der Elektro- und Informationstechnik zurückgegangen ist: Begannen letztes Jahr noch 19.000 Studierende das Studium der Elektrotechnik, so gab es in diesem Wintersemester sieben Prozent weniger, also nur noch rund 17.700 Neuimmatrikulationen. An Universitäten und Technischen Hochschulen wurde ein Rückgang um drei Prozent verzeichnet. Der Rückgang der Studienanfänger an Fachhochschulen beträgt sogar zehn Prozent. Nach aktuellen Schätzungen werden in diesem Jahr rund 8.000 Absolventen die Hochschulen verlassen. Der Bedarf aber liegt bei mindestens 10.000.

Das allerdings sollte
kein Grund sein, es sich im Hörsaal für Elektrotechnik bequem zu machen und die Studiendinge laufen zu lassen. So weist der VDE immer wieder darauf hin, dass Zahlen wie diese von der Konjunktur abhängig sind. Gerade die für Ingenieure besonders relevanten Bereiche Entwicklung und Produktion werden bei schlechter Wirtschaftslage mit höherer Wahrscheinlichkeit zurückgefahren als eher wirtschaftswissenschaftliche Bereiche im Controlling oder in der Beratung. Allerdings sieht der VDE derzeit in fast allen elektroingenieurwissenschaftlich arbeitenden Branchen große Potenziale für Einsteiger: breitbandige Internetanschlüsse, künftige digitale TV-Anwendungen auch im Mobilfunk sowie neue intelligente Funketiketten (RFID), aber auch ganze Wirtschaftszweige wie die Energiewirtschaft, Automobilindustrie oder die Medizintechnik sind wichtige Standbeine für die künftige positive Entwicklung.

Ingenieure – sofern sie fachlich
hoch qualifiziert sind, mindestens Englisch fließend beherrschen, idealerweise gute Kenntnisse in der Hardware- und Softwareentwicklung haben und über die in fast jeder Stellenanzeige erwähnten Schlüsselqualifikationen wie Teamorientierung, Kommunikationsstärke und Selbstständigkeit verfügen, können sich aber nicht nur entlang der Karriereleiter nach oben strecken. Je nach Spezialisierung ist auch die Breite der Einsatzmöglichkeiten bemerkenswert. Für Elektroingenieure kommen vor allem Technikgebiete wie Energie- und Antriebstechnik, Automatisierungstechnik, Robotik, Mess- und Regeltechnik, Mikrotechnologie, Nanotechnologie, Kommunikationstechnik/Nachrichtentechnik und Informationstechnik in Frage. Weil mindestens ein oder zwei dieser Bereiche für fast jeden Industriezweig überlebenswichtig geworden sind, können Ingenieure auch fast überall Aufgaben übernehmen: Neben der Elektroindustrie sind das vor allem chemische und verfahrenstechnische Unternehmen, Telekommunikationsfirmen, IT- und Multimedia-Firmen, Maschinen- und Anlagenbau, Pharmazeutische Industrie, Nahrungs- und Genussmittelindustrie, Handel und vor allem Luft- und Raumfahrtindustrie sowie die Automobilbranche. Aber auch Ingenieurbüros, Patentanwälte und vor allem Unternehmensberatungen sind am Wissen der Ingenieure interessiert.

Auch bei den Aufgabenbereichen
innerhalb eines Unternehmens steht Ingenieuren ein breiteres Portfolio zur Verfügung, als es noch vor zehn Jahren vorstellbar gewesen wäre. Denn neben »Klassikern« wie Forschung und Entwicklung, Informationstechnologie, Produktion und Service übernehmen Ingenieure immer mehr Verantwortung in der Beratung oder im Bereich Vertrieb und Marketing. Bei einer Umfrage des VDE für den jetzt veröffentlichten »Innovationsmonitor 2006« halten 57 Prozent der befragten Unternehmen einen steigenden Personalbedarf im Bereich Forschung und Entwicklung für wahrscheinlich. Bei der Beratung sind es 46, im Bereich IT 43 und bei Vertrieb und Marketing immerhin noch 39 Prozent. Nach dieser Studie dürften vor allem in den Bereichen Reparatur und Service, Qualitätskontrolle und Produktion die Anzahl der Beschäftigten eher gleich bleiben. Von einem Personalabbau geht praktisch kein Unternehmen aus. Also: Ingenieure haben allen Grund zuversichtlich in ihre berufliche Zukunft zu blicken – und dürfen dabei auch etwas mehr lachen.